Kundgebung zu den Aktionstagen

Bildung braucht bessere Bedingungen

Etwa 50 Kolleginnen und Kollegen – in der Regel GEW-Mitglieder, darunter der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, Christoph Degen – haben sich am Samstag, dem 10. Juni 2017 auf dem Freiheitsplatz an der Kundgebung “Bildung braucht bessere Bedingungen” beteiligt.

Die Kreisvorsitzende der GEW Hanau, Ingabritt Bossert und das Kreisvorstandsmitglied Jörg Engels legten die Finger in die Wunden der Hessischen Bildungspolitik: “Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir, sagt man. Wenn man in Deutschlands Schulen eines lernt, dann ist es das, dass nichts im Leben selbstverständlich ist: 

  • Schulgebäude, die intakt sind und in denen man sich bedenkenlos aufhalten kann: keine Selbstverständlichkeit
  • eine Medienausstattung, die zeitgemäß und einsatzbereit ist: keine Selbstverständlichkeit
  • eine Lehrerschaft, die nicht chronisch überlastet ist und sich angemessen um jedes einzelne Kind kümmern kann: ebenfalls keine Selbstverständlichkeit
  • und selbst ordentlich gereinigte Schultoiletten scheinen bei weitem keine Selbstverständlichkeit zu sein!

Der Lern- und Lebensraum Schule ist alles andere als ein Ort, an dem man sich gerne aufhält: In unsere Schulen regnet es rein, durch die Fenster zieht es, das Mobiliar ist zum Teil 30 Jahre alt und älter – viele Schulen entsprechen nicht einmal den Brandschutzbestimmungen oder aber nur in unzureichender Weise! Der Sanierungsstau an Deutschlands Schulen wird auf 34 Milliarden Euro geschätzt. Und dies in einem der reichsten Länder der Erde, der sich EU-weit als einziges auch noch steigender Steuereinnahmen erfreut.

Hessen wiederum ist eines der reichsten Länder innerhalb der Bundesrepublik – was die Schulgebäude angeht, gibt es aber kein besseres Bild ab, und was die Lehrerschaft angeht, sogar ein noch traurigeres:

Lehrerinnen und Lehrer in Hessen erfüllen bundesweit die höchste Unterrichtsverpflichtung. Bis zu 29 Stunden pro Woche müssen Hessens Lehrerinnen und Lehrer unterrichten, nicht arbeiten! Denn jede Stunde Unterricht will vor- und nachbereitet sein. Jede Arbeit muss korrigiert werden, jedes Kind soll individuell gefördert und alle Eltern wollen angemessen beraten werden. Dass dies bei steigenden Anforderungen in einem gleichbleibenden Umfang in guter Qualität nicht zu leisten ist, dass erklärt sich jedem. Und weil sich das jedem erklärt, brechen in Hessen die Bewerberzahlen insbesondere im Grund- und Förderschulbereich bereits drastisch ein. Chronische Überlastung bei mäßiger Bezahlung macht eben auch nicht viel her.

Kürzlich hat das Land Hessen die Unterrichtsverpflichtung für die Lehrerinnen und Lehrer um eine halbe Unterrichtsstunde gekürzt – wir reden hier von 22 Minuten und 30 Sekunden und damit einer quasi „homöopathischen Dosis“! Dass sich dies auf den aufgezählten – unvollständigen – Arbeitskatalog einer hessischen Lehrkraft praktisch nicht auswirkt, versteht sich von selbst. Insbesondere, wenn diese Kürzung der Unterrichtsverpflichtung für einen Großteil der hessischen Lehrerinnen und Lehrer nur auf dem Papier stattfindet und auf einem Arbeitszeitkonto „angespart“ wird. Einer Arbeitszeitreform, die diesen Namen auch verdient, wird von der Politik mit dem Hinweis auf die Schuldenbremse eine regelmäßige Absage erteilt. Dagegen jedoch, auf dem Rücken der Beschäftigten ausbeuterische und windige Zeitkredite aufzunehmen, dagegen spricht scheinbar nichts.

Es fehlt für all das Genannte – grundsanierte und gut ausgestattete Schulen, genügend Lehrerinnen und Lehrer, die so viel Zeit haben, sich den Anforderungen von Schule angemessen und ohne persönliche Opfer im Bereich Gesundheit oder Privatleben widmen können – dafür fehlt es nicht am Geld, denn davon ist genügend da – es fehlt am politischen Willen, dieses Geld für eine bessere Bildung und eine gerechtere Chancenverteilung einzusetzen! Denn wovon nicht genügend da ist in diesem Land, ist eine verantwortungsbewusste und zukunftsorientierte Bildungspolitik.

Leider kann man bei schwarz-grün nur schwarz sehen! 

Schauen wir uns doch einmal die Bedingungen in den Schulen genauer an:

Unsere Schüler, ihre Kinder, sitzen in Klassen, die z.T. sehr voll sind. In diesen Klassen sitzen Kinder und Jugendliche, deren Hintergründe von großen Unterschieden geprägt sind.

Das können Kinder sein, die vor kurzem erst, unter widrigsten Bedingungen, aus ihrem Heimatland geflüchtet sind und sich nun, in einem völlig neuem Umfeld, ohne die Sprache zu sprechen, zurecht finden müssen.

Das können Kindern sein, die aufgrund eines sprachlichen, eines lernbedingten oder eines sozial-emotionalen bedingten Handicaps ganz andere oder besondere Maßnahmen benötigen, um erfolgreich innerhalb dieser Klasse teilhaben zu können.

Das können Kinder sein, die besonders schnell und problemlos lernen.

Das können Kinder sein, die in einem schulischen Bereich, dem Lesen, dem Schreiben oder dem Rechnen Schwierigkeiten haben, sonst aber gut zurecht kommen.

Das können Kinder sein, die langsamer, aber dadurch keineswegs weniger gut lernen.

Diese Art von Beispielen könnte ich jetzt noch unendlich ausführen. Schlussendlich möchte ich damit nur deutlich machen, dass jeder Schüler und jede Schülerin ein Individuum ist und ebenso individuell betrachtet und unterrichtet werden sollte.

Ich kann von mir und meinen Kollegen und KollegInnen nur sagen, dass wir diese vielfältigen Individuen auch sehr gerne bestmöglich unterrichten und fördern wollen würden. Dazu fehlt es allerdings an allen Ecken und Kanten. Wie mein Kollege schon ausgeführt hat, ist die Ausstattung und der Zustand der Schulen ein großes Hindernis. Hinzu kommt die fehlende Unterstützung von Lehrern, die im Rahmen von Inklusion die Schüler und Schülerinnen fördern können. Hier sind die vorhandenen Stunden, die vom Kultusministerium zugewiesen werden, so gering, dass Schüler und Schülerinnen mit einem Förderbedarf häufig nur Mitläufer in den Klassen sind und man eigentlich auch nur von Aufbewahrung, anstatt von Förderung sprechen kann. Die Förderschulkollegen kommen für einzelne Stunden im Unterricht dazu, beraten mit mehr oder weniger kaum Zeit ausgestattet, weil sie im schlimmsten Fall schon wieder auf dem Weg in die nächste Schule sind.

Stunden, in denen Kinder, die die Sprache noch lernen müssen Einzelförderung erhalten gibt es kaum, das muss nebenbei passieren, während sie im Unterricht mit ihren Klassenkameraden sitzen.

Zusätzlich widmen wir uns bürokratischen Aufgaben wie dem Schreiben von Schulcurricula, dem Schreiben und Auswerten von Vergleichsarbeiten, dem Schreiben von Förderplänen, dem  Schreiben von Schulentwicklungsberichten und so weiter. Die Liste könnte ich ewig so weiter führen… Das kostet alles Zeit. Zeit, die ich viel lieber verwenden würde, um einen Unterricht vorzubereiten, der sich darauf konzentriert die vielen Individuen zu berücksichtigen. Inhaltlich so differenziert, dass jeder und jede in einer Klasse arbeiten kann, sich weiter entwickelt und wächst in seinen und ihren Fähigkeiten.

Würde die Regierung, das Land Hessen oder das Kultusminiterium sehen und anerkennen, dass das Arbeiten an hessischen Schulen durch Überlastung geprägt ist und das Lernen an hessischen Schulen wenig erfolgreich und zufriedenstellend ist, dann könnten sie sicherlich Abhilfe schaffen. Das Land Hessen schreibt schwarze Zahlen und dennoch werden nur 4,2% des Bruttoinlandproduktes in Bildung investiert.

In Bildung zu investieren scheint es nicht wert zu sein, was bei mir den Umkehrschluss entstehen lässt, dass wir Lehrer und Lehrerinnen im Land Hessen es nicht wert sind.

Und das was ich noch viel schlimmer finde, ist, dass es offensichtlich auch nicht einmal die Schüler und Schülerinnen, ihre Kinder!, wert zu sein scheinen. Eine Investition in Bildung bedeutet für mich eine Investition in die Zukunft ihrer Kinder!

"Bildung braucht bessere Bedingungen!” | Rede von Ingabritt Bossert und Jörg Engels